Journal für Religionsphilosophie

Nr. 6 (2017/18): Von Gott und Gewalt

Herausgeber:

Arbeitsgemeinschaft Religionsphilosophie Dresden e.V.

Ausstattung

Einband: Paperback; Seiten/Umfang: 202 S.; 21,0 x 14,8 cm.

ISBN

978-3-943897-35-7 (Nr. 6/2017/18) Printversion)
ISNN: 2194-2420 (Printversion)

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Inhalt von Nr. 6 (2017/18)

Beatrix Kersten, Editorial

I. THEMENSCHWERPUNKT: VON GOTT UND GEWALT

  • Philippe-Joseph Salazar, Aisthêta kai Noêta. Terror erkennen
  • Ina Wunn, Gott, Gewalt und Evolution. Ein naturwissenschaftlicher Blick auf die Religionen
  • Friedrich Hausen, Heilige Gewalt? Überlegungen zu sakraler Rechtfertigung
  • Jason Alvis, In the Name of The Unconditioned. Jaspers, Marion and a Phenomenology of Disavowed Violence
  • Roman A. Siebenrock, Wirksames Zeichen des Reiches Gottes. Eine theologische Kriteriologie des Martyriums aus katholisch-christlicher Perspektive
  • Beate Beckmann-Zöller, Unterwerfung und Hingabe. Spuren von Gewalt und Gewaltlosigkeit in religiösen Grundhaltungen
  • Michael Kirwan und Ahmad Achtar, Texte des Lebens: Ein „gemeinsames Wort“ für das Studium der abrahamitischen Überlieferung

II. INTERVIEW

  • Der Prozess mit Gott. Elisa Klapheck im Interview zu Margarete Susman

III. IMPULSE

  • Günther Schlee, Gewalt und Vertreibung. Theoretische, methodische und forschungsethische Probleme der Ethnographie in Konfliktlagen
  • Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Die b&ouoml;se Macht. Die Scheidung von Gut und Böse im Fantasy-Roman von C. S. Lewis
  • Frank Schaeffer, Die letzten Tage der Erde? Donald Trump und die Left-Behind-Romane
  • Stefan Hartmann, Franz Rosenzweig und Hans Urs von Balthasar über den Islam<
  • David Cook, Boko Haram – eine apokalyptische Bewegung?

IV. BUCHBESPRECHUNGEN

  • Martin Krebs, Gott ohne Theismus. Neue Positionen zu einer zeitlosen Frage, hg. v. Rico Gutschmidt und Thomas Rentsch (2016)
  • Stefan Hartmann, Jörg Splett, Philosophie für die Theologie. Mit einer Laudatio von Bischof Rudolf Voderholzer (2016)

V. ORTSTERMIN

  • Jörg Engelmann, Vom Pathos zum Ethos in der Propaganda. Zur Podiumsdiskussion „Poesie und Propaganda“ am 23.6.17 in Berlin
  • Beatrix Kersten, Dies ist die Tür der Hoffnung. Ein Besuch in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin

VI. SEITENBLICKE

  • Margarete Susman, Vom Krieg und von Gott
  • Ferdinand Vicončaij, Der Sohn

 

Editorial von Beatrix Kersten

„There’s too much everything, more things
and messages and meanings that we can use
in ten thousand lifetimes. Inertia-hysteria.
Is history possible? Is anyone serious?
Who do we take serious? Only the lethal believer,
the person who kills and dies for faith.
Everything else is absorbed.“ – Don DeLillo

 

Verehrte Leserin, verehrter Leser,

Gewalt ist in unseren Tagen endemisch. Wir sehen, wie Kriege und Konflikte um Macht und Ressourcen sich vorfressen, wie ein aggressiver Nationalismus demokratische Staaten aushöhlt, wie eine inhärent gewalttätige, globalisierte Handelspolitik für Millionen von Menschen weltweit existenzielle Not bedeutet, wie Terror im Alltag aus vermeintlich unverfänglichen Vergnügungen wie Popkonzerten, Weihnachtsmärkten oder Fußballspielen Todeszonen macht und ganze Länder in den politischen Ausnahmezustand versetzt. Komplex sind die vielfältig miteinander verflochtenen Ursachen dieser Gewaltphänomene, lang die historischen Linien, auf denen Kränkungen und Feindschaften sich bis in unsere Zeit hineinziehen, die gerade durch ihre selbstgeschaffenen Interdependenzen in der realen wie der virtuellen Welt besonders verletzlich ist und schon durch den sprichwörtlichen Flügelschlag eines Schmetterlings aus der Bahn geraten kann.

An viele dieser Formen von Gewalt haben wir uns bereits irgendwie gewöhnt. Sie gehen ein und unter im immensen und permanenten Hintergrundrauschen einer niemals mehr schlafenden Welt. Gewalt allerdings, die sich religiös legitimiert, ist noch immer ein Stachel im Fleisch, der uns in Erklärungsnot bringt. Auch sie tritt in vielen Formen und Gestalten auf und geht von vielen Religionen und Strömungen aus. Die reflexhafte Abwehr, die unsere Diskurse oft prägt, bleibt aber das berühmte Pflaster auf der blutenden Wunde. Vereinfachungs- und Verdrängungsstrategien tragen nicht, denn sie entkräften nichts. Sie entschärfen nur unzulässig oder eskalieren die Lage in Richtung eines hysterischen Manichäismus von „wir“ und „die“, „wahren“ und „falschen“ Spielarten von Religionen, von „friedlichem“ Mainstream und „radikalen“ Peripherien. Viel mehr noch als es bereits geschieht, hätten wir uns aber ernsthaft damit auseinanderzusetzen, welche Gedankenfiguren, theologischen Paradigmata, religiösen Traditionen und Argumente, Ideale, Symbole und Rituale bei sich religiös legitimierenden Formen von Gewalt eine Rolle spielen, wie sie miteinander zusammenhängen und politisch und gesellschaftlich wirksam werden. Wir müssten uns mit dem Sprung von der heiligen Schrift oder dem heiligen Ideal ins Handeln aus heiligem Zorn und mit dessen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Wir müssten die Sprache analysieren, die performativ die Räume erst schafft, in denen der religiös Andere, oft auch der vermeintlich „Abtrünnige“ aus der eigenen Gemeinschaft, zum Feind und die Welt zum Schlachtfeld wird. Im Moment haben wir uns vielleicht vor allem auch damit zu beschäftigen, inwiefern Formen von sich religiös legitimierender Gewalt Formen des „aus der Nachtseite der Moderne erwachsenen Denkens“ sind (Rüdiger Lohlker), also mit unserem ureigensten Erbe und Selbstverständnis zu tun haben.

Denn, und dieser Grundsatz ist so alt, wie das ernsthafte Nachdenken über die Welt selbst – um etwas kritisieren zu können, müssen wir es erst erkennen und in Worte fassen können. Nur wenn wir verstehen, auch uns selbst verstehen, sind wir für eine Begegnung gerüstet, für eine gehaltvolle Entgegnung argumentativ gewappnet.

Zu einem solchen, die Selbstreflexion einschließenden Verständnis will dieses Journal einen kleinen Beitrag leisten. Bewusst ist es interdisziplinär angelegt und verschreibt sich auch methodisch keinem bestimmten Zugriff. Genuin religionsphilosophische Beiträge sind für eine Publikation, die die Religionsphilosophie im Titel führt, eine Selbstverständlichkeit und stehen auch hier zentral. Doch sind die Blicke über den Tellerrand in andere Disziplinen kein bloß schmückendes Beiwerk. Vielmehr soll durch deren Einbezug einem Verständnis von Religionsphilosophie Ausdruck verliehen werden, das diese eingebettet sieht in eine breitere, interdisziplinär informierte Kulturphilosophie, die substantiell beiträgt zu einem besseren Verständnis der conditio humana in unserem „säkularen“, doch durch die „Rückkehr der Religionen“ so tief verunsicherten Zeitalter.

Weiterhin setzt diese Herangehensweise auch darauf, durch die Verschiedenartigkeit der Themen und die Vielfalt der Denk- und Argumentationsformen Ihre eigene philosophische Neugier zu wecken und zu fordern. Fühlen Sie sich also vor allem anderen eingeladen zum Infragestellen, zum Selber- und Weiterdenken. Dies mag als Anspruch ebenso wohlfeil wie überambitioniert klingen, dennoch glauben wir, dass gerade dieses in der spannenden, auch unbequemen Vielfalt von Stoff und Methode der Beiträge angelegte Potenzial den besonderen Charakter des mittlerweile sechsten Journals für Religionsphilosophie ausmacht.

Gleich der erste Beitrag zu unserer Rubrik „Themenschwerpunkt“ steht dafür exemplarisch. „Who do we take serious? Only the lethal believer“ – so der eingangs zitierte Don DeLillo. Philippe-Jospeh Salazar widerspricht dieser Aussage. Seiner Diagnose nach nimmt die westliche öffentlichkeit weder den todbereiten Gläubigen noch den Terror als solchen ernst, sondern bleibt in ihrem eigenen, von diffusen Wahrnehmungen geprägten Diskurs gefangen. Der Autor, ausgewiesener Rhetorikspezialist, der die Propaganda des IS-Kalifats intensiv beforscht hat, besteht darauf, dass wir die hinter dem Terror stehende, uns fremd erscheinende Rationalität begreifen müssen und beleuchtet die komplexen Bezüge von Terror und Territorium, Ritual und Recht. Salazar macht auch einsichtig, wie sehr wir unserer eigenen Denktradition unrecht tun, wenn wir uns durch Denkverweigerung der Möglichkeit eines souveränen Umgangs mit einem beunruhigenden Gegner berauben.

Ina Wunn nimmt im anschließenden Beitrag ebenfalls auf den Nexus von Territorialität und Gewalt Bezug. Die in ihrer Forschung immer wieder naturwissenschaftliche mit geisteswissenschaftlichen Ansätzen verknüpfende Biologin und Religionswissenschaftlerin beschreibt nach einem kenntnisreichen Durchgang durch die Geschichte der „unheiligen Allianz“ von Religion und Gewalt die Rolle des Territoriums bei der Entstehung und Ausbildung von Religionen. Unter Anlegung von entwicklungsbiologischen Kriterien, wie Selektionsdruck durch die jeweilige Umwelt, stellt sie erhellend und durchaus diskussionswürdig dar, unter welchen Rahmenbedingungen sich religiöse Gewaltpotenziale historisch in reale Gewalttätigkeit verwandelten und deutet das aggressive territoriale Erbe als Last, mit der sich auch die zeitgenössischen Tendenzen der Religionen zu Gewalttätigkeit erklären lassen.

Auf ein ganz anderes Feld begibt sich Friedrich Hausen mit seinen überlegungen zur heiligen Gewalt. Anstatt von einem personalen Theismus geht Hausen von der Normativität als solcher als Grundlage einer sakralen Rechtfertigung von Gewalt aus. Sein Beitrag arbeitet Quellen und Bedingungen des Sollens heraus und bezieht das mit Max Scheler als höchster Sinnwert verstandene Heilige auf ein verpflichtendes Sollen wie auf die es sanktionierende Gewalt. Geht aber das Heilige als Wert und höchstes Gut mit dem Unheiligen einer Bewahrung mit Gewalt einher, ist dies ein Nullsummenspiel. Letztlich bleibt laut Hausen nur, das Heilige, etwa in Gestalt der Menschenwürde, praktisch zu behaupten und sich im Tun für die Vermeidung von Situationen einzusetzen, in denen Gewalt zu seinem Schutz oder seiner Durchsetzung angewandt werden müsste.

Jason Alvis rollt die Frage nach der Gewalt unter verwandten Vorzeichen auf und fragt nach dem Unbedingten und der gefährlichen Annahme, in dessen Namen oder als dessen Repräsentant handeln zu dürfen. Er nimmt aber auch den Aspekt der Gewalttätigkeit von Pazifizierungs-strategien unter die Lupe, mit denen aus Angst vor Extremen eine Gesellschaft „defanatisiert“ werden soll, indem sie vom Unbedingten entwöhnt wird. Mit einem phänomenologischen Instrumentarium nähert sich Alvis beidem an und bezieht Karl Jaspers’ Theorie der unbedingten Handlungen fruchtbar auf Jean-Luc Marions Begriff des Unmöglichen. Er kann so einen möglichen Ausweg beschreiben aus der Gewalttätigkeit eines auf das Unbedingte rekurrierenden Fanatismus wie aus der Gewalttätigkeit eines das Unbedingte leugnenden und interpretatorische Unterschiede einebnenden Pazifismus.

Roman Siebenrock nimmt in seiner „Kriteriologie des Martyriums aus katholisch-christlicher Perspektive“ mit der Gewalt gegen sich selbst ein wesentliches Moment religiöser Gewalt in den Blick. Kritisch beleuchtet er sowohl die Geschichte des Märtyrerbegriffs als auch seine heute gängige Verwendung, um anschließend eigene Kriterien zu entwickeln, die das Martyrium ganz aus „dem Feuer des Anfangs des christlichen Glaubens“ deuten. Mit Augustinus kommt es für Siebenrock dabei allein auf die Haltung aus der Beziehung zu Christus an. Das Zeugnis, das Märtyrerinnen und Märtyrer mit ihrem Tod für den Glauben ablegen, könnte, sofern es so verstanden und seiner angemessen gedacht wird, laut Siebenrock konfessionsübergreifend wegweisend werden für die immer wieder neu zu leistende Nachfolge Christi in der radikalen Gewaltlosigkeit von Kirche wie Gläubigen.

Nach „Spuren von Gewalt und Gewaltlosigkeit“ in den religiösen Grundhaltungen Unterwerfung und Hingabe sucht Beate Beckmann-Zöller in ihrem Beitrag, worin sie Islam und Christentum kontrastiert. Mit den Mitteln der religionsphänomenologischen Analyse arbeitet die Autorin die jeweils prägenden Elemente und Eigenschaften der Gott-Mensch-Beziehung heraus und deutet entsprechend die „Ursprungsereignisse“ von Mohammeds und Marias Berufung aus. Nach Beckmann-Zöller ist der Mensch im Islam ausgezeichneter Diener des herrschenden Gottes, im Christentum aber Sohn eines liebenden Gottes und ihm vor allem in der freien Beziehung der Liebe verbunden. Auf dieser Grundlage äußert sich die Autorin aufschlussreich und dezidiert auch zu den Themenbereichen Religionsfreiheit und Koexistenz von Islam und Christentum im europäischen Kontext.

Den „Themenschwerpunkt“ beschließen Michael Kirwan und Ahmad Achtar. Ihre Expertisen als christlicher und muslimischer Theologe bündelnd, machen die Autoren im Tandem anhand von Beispielen aus Bibel und Koran René Girards Hermeneutik der Gewalt im Rahmen eines abrahamitischen Verständnisses der monotheistischen Religionen fruchtbar. Zentral steht dabei die Frage, welche Kriterien die Privilegierung friedlicher Lesarten gegenüber antagonistischen erlauben. Kirwan und Achtar sind optimistisch für das Finden eines „gemeinsamen Worts“ in Bezug auf die Zentralität der Friedensbotschaft, jedoch skeptisch, was die Annäherung der Lesarten betrifft. Zu verschieden sind die Perspektiven, die Koran und Bibel einnehmen – doch sie gerade in ihrer Komplementarität zu erkennen und schätzen zu lernen, könnte die Basis eines friedlichen Dissenses werden.

Zum „Interview“ waren wir in dieser Ausgabe mit Elisa Klapheck verabredet, die als liberale Rabbinerin in Frankfurt a. M. tätig ist und in Paderborn Jüdische Studien lehrt. Gegenstand des Gesprächs mit Elisa Klapheck war die jüdische Denkerin Margarete Susman (1872–1966), zu der Klapheck eine umfangreiche Studie vorgelegt hat. Neben interessanten Einblicken in Susmans politisches Denken, welches Messianismus und Intuition vereint, entwickelt Klapheck auch aufschlussreiche Parallelen zur heutigen Zeit und spricht über persönliche Erfahrungen auf dem Weg ins Rabbinat sowie über ihre eigene Auslegung des Judentums als einer säkular wirksamen Kraft aus religiöser Quelle.

Die Rubrik „Impulse“ eröffnet Günther Schlee, Ethnologe am Max-Planck-Institut in Halle/Saale mit ebenso klugen wie klaren überlegungen zu den komplexen Ursachen von als „religiös“ qualifizierter Gewalt und zur Forschungsethik in der Ethnographie im Konfliktfall. Jenseits der oftmals tatsächlich existenziellen Dilemmata für Angehörige seiner eigenen Disziplin konstatiert Schlee aber auch eine problematische Lage für alle, die sich wissenschaftlich mit Themen wie Gewalt, Extremismus oder Terrorismus befassen. Schlees pointierte Kritik an einem zunehmend verdrucksten Diskurs, der geprägt ist durch eine starke moralische Färbung und dem damit einhergehenden vorauseilenden Gehorsam von eingeforderten Distanzierungen und mitgelieferten Verurteilungen, weist interessante Parallelen zu Salazars Befunden im „Themenschwerpunkt“ auf.

Wohin eine Forschergemeinde abdriften kann, wenn ihr Ethos vollständig entgleist und Machtstreben, Zynismus und Rückgratlosigkeit sich Bahn brechen, zeigt anschließend Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz in ihrer religionsphilosophischen Interpretation von Clive Staples Lewis’ Science-Fiction-Roman Die böse Macht. Der irische Autor, Philologe und christliche Denker beschreibt darin gekonnt und auf mehreren, miteinander verwobenen Erzählebenen den Zerfall einer Universität, die, geködert durch die vermeintliche Chance, an der Verbesserung des Lebens durch bahnbrechendes Bio- und Sozial-Engineering mitzuwirken, der Macht des Bösen anheimfällt. Eindrücklich durchleuchtet Gerl-Falkovitz Lewis’ Darstellung des Bösen wie des Guten und vor allem die große Uneindeutigkeit in ihrer beider Erkenntnis, die daraus entsteht, dass die Menschen „selbst uneindeutig sind“.

Auch der Autor und Künstler Frank Schaeffer verhandelt anhand eines literarischen Zugriffs die Thematik der Zuschreibungen „gut“ und „böse“. Er greift dabei nicht nur eine aktuelle Problemlage auf, sondern liefert auch einen aufschlussreichen Einblick aus erster Hand in die Weltsicht der evangelikal und fundamentalchristlich inspirierten religiösen Rechten in Amerika, der er lange Zeit selbst angehörte. Die Romanserie Left Behind, anhand derer Schaeffer Fäden spinnt zwischen der Apokalypse des Johannes, dem alttestamentlichen Kyros-Edikt und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, diente bereits in der Mobilisierung für den Irakkrieg 2003 als Schlüsselwerk für diejenigen, die nicht nur Huntingtons „Kampf der Kulturen“ gekommen sahen, sondern auch den endzeitlichen Kampf zwischen Geretteten und Verdammten. Sie hat seither nichts an Popularität eingebüßt und wird von Schaeffer pointiert als geistiger Brandbeschleuniger in einem hochentzündlichen geistigen Klima identifiziert.

Einen stilleren, doch nicht minder gehaltvollen Beitrag liefert Stefan Hartmann mit seiner Darstellung der überlegungen Franz Rosenzweigs und Hans Urs von Balthasars zum Islam. Die Islamkritik Rosenzweigs, Frucht einer intensiven Auseinandersetzung und Würdigung, sieht Hartmann dabei in der Nähe der dialektischen Theologie Karl Barths. Seine Schilderung von Rosenzweigs Urteil über den Islam lässt auch noch einmal an die überlegungen von Beate Beckmann-Zöller denken. Weiterhin umreißt Hartmann die Einschätzungen Hans Urs von Balthasars, der vor allem die Neuheit des Christentums und seine inhärent angelegte Gewaltferne betonte, um mit Charles de Foucauld schließlich auf eine Persönlichkeit zu verweisen, die in exemplarischer Weise zwischen Christentum und Islam versöhnend und brüderlich wirkte.

Die Rubrik klingt aus mit David Cooks faktenreicher Darstellung der Entwicklung der nigerianischen Terrorgruppe Boko Haram, die durch mehrere große Anschläge, vor allem aber mit der Massenentführung von Internatsschülerinnen im Jahre 2014 und der BringBackOurGirls-Kampagne auch in der westlichen Medienöffentlichkeit in den vergangenen Jahren wiederholt zum Thema wurde. Cook beschreibt den Werdegang der Boko Haram von einer zurückgezogenen, salafistischen Sekte zu einer einen ganzen Staat unsicher machenden, politisch-extremistischen Kraft und erörtert auf der Basis von Quellen die Frage, ob Boko Haram als apokalyptische Bewegung eingeordnet werden kann. ähnlich wie im Beitrag von Schaeffer erweisen sich apokalyptische Gegenwartsdeutungen auch hier als Katalysatoren von Gewalt gegen den religiös Anderen.

Die anschließende Rubrik „Rezensionen“ umfasst zwei Beiträge, die beide von intensiver Lese- und Denkarbeit im Dienste des besprochenen Werks zeugen. Martin Krebs hat den von Thomas Rentsch und Rico Gutschmidt im Mentis-Verlag 2016 herausgegebenen Band Gott ohne Theismus. Neue Positionen zu einer zeitlosen Frage gelesen und kommt nach einer ausführlichen Einschätzung der Beiträge zu einer Leseempfehlung sowohl für das religionsphilosophische und theologische Fachpublikum wie für den „am Dialog zwischen den Religionen, Kulturen und Weltanschauungen der Menschen im 21. Jahrhundert kritisch Interessierten“.

Stefan Hartmann rezensiert den 2016 im Be&Be-Verlag in Heiligenkreuz erschienenen Band Jörg Splett. Philosophie für die Theologie und würdigt den Autor als „Grenzgänger zwischen Philosophie und Offenbarungswahrheit“ und die Textsammlung als Ausdruck seines „souveränen Spiels auf der Klaviatur des abendländischen Denkens und Dichtens“.

Zum „Ortstermin“ haben sich zwei Autoren für das Journal nach Berlin begeben. Jörg Engelmann hat im Rahmen des 18. Poesiefestivals die Podiumsdiskussion „Poesie und Propaganda“ in der Akademie der Künste besucht. In seinem nachdenklichen Beitrag, in dem Ursula Krechel, Paula Diehl, Eva Geulen, Joseph Vogl und unser Autor Philippe-Jospeh Salazar als sprechend-handelnde Protagonisten auftreten, zeichnet Engelmann einen Abend nach, der die Debattierenden wie die Zuschauer inspirierend und bisweilen auch amüsant auf neue Denkwege führte, aber auch die Sackgassen des Unverständnisses und die Gefahren geistiger Scheuklappen erlebbar machte.
Beatrix Kersten liefert schließlich einen Stimmungsbild und Informationsgehalt vereinenden Bericht über ihren Besuch in der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Diese stellt sich in eine Tradition, die bis auf den mittelalterlichen Philosophen Ibn Rushd/Averroes zurückgeht und den Islam von der allmächtigen Deutungshoheit der Geistlichkeit lösen möchte. Nach außen sucht die Gemeinde den vermittelnden, befruchtenden Brückenschlag, den Goethe schon in seinem West-östlichen Divan imaginierte. Neben einer konzentrierten Spiritualität trotz Besucherandrang und Medienhype hat die Autorin in der Moschee vor allem die Menschen als beeindruckend erlebt, die klug, reflektiert und mit einer ungeheuren Begeisterung für die Vision eines liberalen, offenen und geschlechtergerechten Islams einzustehen bereit sind.

In den „Seitenblicken“ hat zunächst Margarete Susman das Wort. Mit ihrem dichten Text aus dem Jahr 1915, der in Form eines Zwiegesprächs „Vom Krieg und von Gott“ handelt, präsentieren wir nicht nur einen gedanklich wie sprachlich sehr lesenswerten Beitrag zur Gewaltthematik, sondern auch eine interessante Ergänzung zu Elisa Klaphecks Ausführungen im Interview.
Der Dresdner Autor und Performer Ferdinand Vicončaij liefert zum Schluss noch eine intensive und verstörende Prosaminiatur über Angst, Gewalt und das Böse.

In den Informationen zu unseren Autorinnen und Autoren am Ende des Hefts finden Sie vieles Wissenswerte über die Menschen hinter den Beiträgen zusammengetragen. Wenn Sie noch tiefer einsteigen wollen, haben wir für Sie auf unserer Internetseite weiterführende Literaturempfehlungen sowie die Artikel unserer nicht-deutschsprachigen Autoren im jeweiligen Original bzw. der deutschen übersetzung eingestellt. Folgen Sie einfach den entsprechenden Hinweisen am Ende der betreffenden Texte oder schauen Sie auf www.religionsphilosophie-dresden.de/journalintermedial.
Genug der Vorschau. Lesen und sehen Sie selbst! Der Redaktion bleibt nur noch, sich bei allen Autorinnen und Autoren für eine überaus bereichernde Zusammenarbeit und ein hochspannendes und lesenswertes Journal voller Denk- und Frag-Würdigkeiten zu bedanken.

hnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine interessante Lektüre, die Sie als nicht gerade leichte Kost sicherlich fordern, hoffentlich aber auch anregend herausfordern wird.

In diesem Sinne ...
Beatrix Kersten

 

Journal für Religionsphilosophie

 

Text & Dialog

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